"Glückseliger Friedhof“ Literarische Denkmäler des Friedhofes St. Peter

Dieser Bericht wurde von Frau Dr. Dorit-Maria Krenn für die Jubiläumsschrift
"30 Jahre Förderverein Straubinger Altstadtfreunde" verfasst.
 
Der Friedhof St. Peter ist ein eindrucksvoller und eindringlicher Ort, an dem Kultur und Natur miteinander verwoben sind. Kaum mehr bewusst ist, dass die Entwicklung des naturhaften Friedhofes eine Folge der konsequenten Schließung des Friedhofes für eine Neubelegung im Jahr 1879 war. Der Friedhof St. Michael wurde damals zum neuen Zentralfriedhof der Stadt ernannt. Den bisher fast baumlosen Friedhof St. Peter konnte bzw. durfte „die Natur“ erobern. Es vollzog sich fast von selbst die Umformung „vom täglichen kultischen Gebrauch zu einem visionären Symbol für weltabgewandte, mittelalterliche Frömmigkeit und die romantische Reflexion von Vanitas-Vorstellungen“, wie der Spezialist für Denkmalpflege Achim Hubel einmal formulierte. Samen von Eschen und Ahornen gingen auf, symbolträchtige und typische Grabbepflanzungen wie Thujen, Buchsbäume oder Holunder strebten ungehindert hoch, die Grabstellen wurden zur Wiese, Efeu und Moose umwuchsen die über 1350 Grabdenkmäler vom frühen 14. bis zum späten 19. Jahrhundert. Um 1900 pflanzte man zudem Bäume wie Birken, Hainbuchen, Trauerweiden, Säulenpappeln, Rot- und Weissdorne. So gingen auf dem Friedhof Natur und Denkmal eine enge Verbindung ein, entwickelte sich durch Baum-, Sträucher- und Efeubewuchs der stimmungsvolle Charakter der Anlage als „romantisches Gesamtkunstwerk“, das Besucher von nah und fern in seinen Bann zog und zieht. Auch namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ließen sich von ihm inspirieren und hinterließen kleine literarische Denkmäler.
 
St. Peter vor 1900
Friedhof St. Peter mit Totenkapelle, wohl vor 1900 (Stadtarchiv Straubing FS Hanns Rohrmayr 632)
 

Ricarda Huch - „Dies ist sein Garten …“

Ricarda Huch
 
Im Mai 1926 schrieb die bekannte Schriftstellerin, Lyrikerin, Historikerin Ricarda Huch an ihre Freundin Marie Baum: „Ich möchte ein Buch schreiben, das ein Bild von Deutschland gäbe, die Schönheit seiner Städte, seiner Dörfer, seiner Landschaft, daran anknüpfend geschichtliche Erinnerungen, sagenhafte Anklänge. ... Wie wäre es, wenn wir zusammen auf diese Wanderung durch Deutschland gingen?“ In den Jahren 1926 bis 1928 verwirklichte Ricarda Huch diese Reise. 69 „Lebensbilder deutscher Städte“ entstanden. In Bayern hielt sie nur einige wenige Orte besuchens- und beschreibenswert: Würzburg, Ochsenfurt, Nördlingen, Amberg, Regensburg. Als einzige Stadt Niederbayerns wählte sie Straubing aus.
 
Ricarda Huch, geboren 1864 in Braunschweig, studierte in Zürich - in Deutschland war Frauen der Zugang zu den Universitäten noch verwehrt - Geschichte, Philologie und Philosophie, promovierte 1891 und veröffentlichte im gleichen Jahr ihren ersten Gedichtband. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt zunächst als Bibliothekarin und Lehrerin und lebte nach ihrer Heirat mit einem italienischen Zahnarzt erst in Triest, dann ab 1900 in München. Hier entwickelte sie sich zur anerkannten, selbstbewussten und selbständigen Autorin von „geschichtsdichterischen“ Werken, der die Stadt München bereits 1924 eine Straße widmete und die der Schriftstellerkollege Thomas Mann als „erste Frau Europas“ pries. Ricarda Huch starb 1947 in Schönberg/Taunus.
 
Huch beschrieb ihre schriftstellerische und historische Tätigkeit folgendermaßen: „Mein Bestreben war nicht das des eigentlichen Historikers, schlechtweg festzustellen, wie es gewesen ist; ich suchte das Poetische in den geschichtlichen Vorgängen, also das Ewige.“ So war es vielleicht das Schicksal des Liebespaares Albrecht und Agnes, des bayerischen Herzogssohnes und der unstandesgemäßen Agnes Bernauer, die ihr Schwiegervater Herzog Ernst am 12. Oktober 1435 in der Donau ertränken ließ, das Huch ausgerechnet nach Straubing gelockt hatte; denn es ist der rote Faden, anhand dessen sie die Sehenswürdigkeiten Straubings erkundet und vorstellt, eben auch den Friedhof St. Peter:
 
„Als Sühne für seine Untat und zum Gedächtnis der unglücklichen Agnes erbaute Herzog Ernst auf dem Friedhof der Pfarrkirche von Straubing eine Kapelle und stiftete eine ewige Messe. Die Pfarrkirche lag in der Altstadt, die niemals ummauert war und wohl immer den dörflichen Charakter hatte, der die Gegend heute noch kennzeichnet. … Jetzt scheiden die Mauern die Burg des Todes von dem Getümmel der Lebendigen draußen. Eine grüne Wildnis schlägt über dem Eintretenden zusammen, schmiedeeiserne Kreuze und halbversunkene Grabgestalten tauchen daraus hervor. … Die Bernauerkapelle mit spitzem gotischen Giebel enthält nicht die Gebeine der Agnes, nur den Grabstein mit ihrem Bilde, so daß man annimmt, daß sie einem gelegentlich ausgesprochenen Wunsche gemäß in der Karmeliterkirche beigesetzt ist. Auf dem Gesicht, das sehr verwittert ist, erscheint ein klägliches Lächeln wie bei Kindern, die weinen wollen, die schlaff herabhängenden Hände sind besonders schön. Die Verstorbene trägt die Kleidung einer vornehmen Frau der damaligen Zeit. … Die Totenkapelle am Südrand des Friedhofs bewahrt ein Kleinod in dem Grabstein der Anna Ulein. Die mädchenhafte Frau, die wie ein hingewehtes Blatt auf ihrem Monument liegt, war die Frau des Jordan Utz oder Ulein, der bei dem hohen Turm auf dem Marktplatz ein Haus hatte. … Die Totenkapelle, die ihren Namen davon hat, daß sie mit einem Totentanz aus dem 18. Jahrhundert ausgemalt ist, hat eine unterirdische Gruft, aus der es schaurig kühl aufhaucht, als käme es aus dem Bodenlosen. Der, den die Bilder an den Wänden langbeinig und schadenfroh darstellen, ist hier gegenwärtig. Draußen brennt das lautlose Feuer des Mittags. Die weißen Urnen, die Marmorfiguren, die spitzen Zypressen sind unter der Lava des Efeus, die darüber hinströmt, gluterstarrt; aber der unsichtbare Schatten, den der Geheimnisvolle wirft, macht frösteln. Dies ist sein Garten, hier mischt er einen Rausch aus Vergangenheit und ewigem Gedenken.“
 
 St. Peter 1925
Kirchen- und Friedhofsanlage St. Peter, um 1925 (Stadtarchiv Straubing FS Hanns Rohrmayr 1800)
 

Günter Eich - „Die Wildnis voller Fragen“

 Günter Eich
 
Auch Günter Eich war von der Bernauer-Geschichte offenbar fasziniert, denn eines seiner Gedichte ist dem Straubinger Petersfriedhof bzw. seinem bekanntesten Grabmal gewidmet. Eich, geboren 1907 im brandenburgischen Lebus, widmete sich nach einem abgebrochenen Studium der Sinologie und Volkswirtschaft ganz der schriftstellerischen Tätigkeit. Sein erster Lyrikband erschien 1930, sein erstes Hörspiel wurde 1931 ausgestrahlt. Er verfasste Erzählungen und Theaterstücke und gestaltete Rundfunksendungen. Im August 1939 wurde er als Kraftfahrer und Funker zur Luftwaffe einberufen. Nach der Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft im Sommer 1945 ging Eich in das niederbayerische Geisenhausen bei Landshut - seine Berliner Wohnung war durch Luftangriffe zerstört worden -, wo er bis 1954 lebte. 1947 begründete er mit seinen Schriftstellerkollegen Hans Werner Richter und Alfred Andersch die „Gruppe 47“. Eich, der mit der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger verheiratet war, starb 1972 in Salzburg.
In den 1950er und 1960er Jahren gehörte Eich zusammen mit Gottfried Benn, Karl Krolow und Paul Celan zu den bekanntesten Lyrikern Deutschlands. Er selbst bekannte einmal: „Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte sie als trigonometrische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche den Kurs markieren.“ Eich distanzierte sich in den späten Lebensjahren von seinem Frühwerk, verachtete seine „sentimentalen, herzensfrommen, naturenthusiastischen“ Gedichte. Das Gedicht „Friedhof in Straubing“, das er am 17. Februar 1948 verfasste, ist sicher ein weniger gelungener Teil dieses Frühwerks –  vermutlich auch ein Grund, wieso es Eich nicht veröffentlichte. Aber trotz aller klassischen, vielleicht auch abgegriffenen Metaphern, Symbole und Bilder schafft es Eich, am Beispiel der Bernauerin das Los jedes Sterblichen vor Augen zu stellen: Teil der Natur, der Erde zu werden.
Friedhof in Straubing
 
Bernauerin, am Gesange
der Amsel erkannte ich dich,
im Schlummer der wilden Rose,
die unter der Mauer verblich.
 
In deine Schleppe häkelt
Zärtlich der Dorn sich ein.
Daß du ein Lächeln gewahrtest,
belebt sich der taube Stein.
 
Die Tropfen des Taus dir zu küssen
aus dem Nackenhaar,
verweile im grünen Schatten.
Ich weiß, wer dein Liebster war.
 
Doch sage, wo bist du gewesen,
ach, seit der Tod begann?
Im Weißen deines Auges
Fangen die Lilien an.
Die Wildnis voller Fragen –
Keiner jätet und harkt -,
o Gräser, ihr habt sie verraten,
die ihr so lange verbargt.
 
Leg nicht die Hand an die Lippen,
Badstubenschöne, schwatz!
Zeig die gepriesenen Brüste
Unter dem seidenen Latz!
 
In deinen laubigen Armen
Fasst mich der Erde Sinn,
Vogelruf deiner Kehle,
Agnes Bernauerin.
 
Epitaph Agnes Bernauer
Epitaph der Agnes Bernauer in der Bernauer-Kapelle (Foto Manfred Bernhard)
 
 

Richard Billinger - „O Ewigkeit, hier hältst du Rast.“

 Richard Billinger
 
Fast mit dem gleichen Titel und wohl zur ähnlichen Zeit entstanden schildert ein Gedicht des 1890 in St. Marienkirchen bei Schärding geborenen Schriftstellers Richard Billinger den Friedhof in seiner Geschichte und seiner Wirkung. Es wurde 1953 in seinem Gedichtband „Lobgesänge“ veröffentlicht.
Billinger studierte nach seiner Kindheit im Innviertel Philosophie und Germanistik in Innsbruck, Kiel und Wien, verfasste vor allem Lyrik und Theaterstücke. 1928 begann mit der Aufführung seines Dramas „Perchtenspiel“ bei den Salzburger Festspielen seine Karriere als erfolgreicher Bühnenautor, untermauert 1931 mit der Inszenierung seines Schauspiels „Rauhnacht“ an den Münchner Kammerspielen. Billingers Stücke stießen in einer „Mischung aus Folklore und Exotik, heidnisch-dämonischer Archaik und christlichem Gedankengut vor ländlicher Kulisse“ auf Lob und Kritik gleichermaßen. In nationalsozialistischer Zeit erfuhr Billinger wegen seiner Homosexualität zwar Anfeindungen, wurde 1935 in München, wo er nun lebte, sogar wegen „widernatürlicher Unzucht“ angeklagt, erfüllte aber mit seinen im Bäuerlichen verwurzelten Gedichten, Schauspielen, Hörstücken, Romanen auch nationalsozialistische Wertvorstellungen wie der Blut- und Boden-Ideologie oder der Propagierung der Volksgemeinschaft. Billingers Werke wurden zahlreich publiziert und aufgeführt, zudem wirkte er als Drehbuchautor und Berater in der reichsdeutschen Filmproduktion. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden seine opportunistische Haltung als „literarischer Spitzenverdiener“ in der NS-Zeit zwar gelegentlich thematisiert, er konnte aber seine literarische Tätigkeit „unbehelligt“ fortsetzen, erhielt etliche Auszeichnungen, u.a. die Ehrenbürgerwürde von Schärding und Marienkirchen, wurde in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen. Billinger starb 1965 in Linz, wo er nach Jahren in Niederpöcking am Starnberger See seinen Lebensabend verbrachte. Nicht im Straubinger Friedhof St. Peter, wie in seinem Gedicht gewünscht, sondern auf dem Friedhof von Hartkirchen bei Eferding wurde er bestattet, in einem Ehrengrab des Landes Oberösterreich.
 
Alter Friedhof in Straubing
Hier möchte ich begraben sein!
Hier wittert um das tot‘ Gebein
ein Haus wie aus dem Marmorhain.
Gott Bacchus tritt zur Tür herein.
Der alte, harte Gräbertod
hat hier allum die liebe Not
mit Gästen, lang begraben,
die noch am Licht sich laben.
Lenz und Sommer, Herbst und Schnee:
hier tut, du merkst’s, der Tod nicht weh,
hält er die Sens‘ auch in der Hand,
die Sanduhr und das Sterbgewand.
Ein Efeustamm trägt hoch ein Kreuz,
ein Amtmann dort, sein Schwert, er scheut’s
zu zeigen nicht, sein Grabesstein
lädt den jähen Tod zum Tanze ein –.
Kohorten zogen einst hier aus.
Hier stand des Weltengottes Haus,
es ward schon längst dem Christ geweiht;
des‘ Kreuzesarm reicht erdenweit.
Aus Gräbern klingt der Grillenruf.
Noch stampft die Erd der Rosse Huf,
Befehl und Kampfruf schallen
aus öden Grabeshallen.
Noch lebt er hier. Noch ist nicht tot,
der einst gedieh im Morgenrot
und starb, eh ‘s Mondlicht kam.
Hier webt das Moos der nackten Scham
das Kleid und der Vestalin Licht
dort aus der Fensternische bricht. –
O Ewigkeit, hier hältst du Rast,
lädst ein die schnelle Zeit zu Gast,
bewirtest mich mit heiligem Graun,
mit Tempelduft, mit dem Vertraun!
Und alles, was die Welt betrifft,
zeugt hier aus unverwester Gräberschrift.
 
St. Peter 1965
Friedhof St. Peter, um 1965 (Stadtarchiv Straubing Foto Josef Berger 920)
 
 

Gertrud Fussenegger - „einer der schönsten, stimmungsreichsten Friedhöfe auf deutschem Boden“

Gertrud Fussenegger
 
1976 fügte die österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger den zahlreichen Donaureisebüchern ein neues hinzu: „Eines langen Stromes Reise. Die Donau. Linie, Räume, Knotenpunkte“. Ihren Halt in Straubing überschreibt sie mit „Mord an Agnes oder Die biedere Stadt Straubing“. Fussenegger, geboren 1912 in Pilsen/Tschechien, studierte in Innsbruck und München Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie, promovierte in Geschichte. 1936 erschien ihr erster Roman „Geschlecht im Advent“. Ihr Verhältnis zu den Nationalsozialisten war ambivalent, sie trat bereits 1933 der NSDAP bei, begrüßte den Anschluss Österreichs an Deutschland, stellte aber, christlich motiviert, zugleich die nationalsozialistische Rassenideologie, z.B. in der Novelle „Mohrenlegende“, in Frage. 1944 kehrte sie in ihr Elternhaus in Hall/Tirol zurück, war dort nach der Trennung von ihrem ersten Mann für vier Kinder verantwortlich; 1950 heiratete sie ein zweites Mal, bekam noch einen Sohn, zog nach Leonding bei Linz. Sie veröffentlichte etliche, zum Teil historische Romane, in denen sie sich auch mit der Verdrängung der Schuld am Nationalsozialismus auseinandersetzte – ihre eigene Begeisterung für die nationalsozialistische Bewegung und ihre publizistische Tätigkeit für NS-Organe belasteten sie ein Leben lang. Sie schrieb Gedichte, Theaterstücke, Erzählungen, eine viel beachtete Biographie zu Kaiserin Maria Theresia, war Jury-Mitglied des renommierten Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerbs, verfasste für Marcel Reich-Ranicki und seine „Frankfurter Anthologie“ zahlreiche Gedichtinterpretationen. Fussenegger verstarb 2009, mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet. Am Straubinger Friedhof St. Peter faszinierte sie – wie ihre Kollegin als Schriftstellerin und Historikerin Ricarda Huch – die Liebes- und Leidensgeschichte der Agnes Bernauer.
 
 Friedhof St. Peter um 1980
Friedhof St. Peter, um 1980 (Stadtarchiv Straubing, Foto Bruno Mooser D 2-1-46)
 
 

Robert Wosak - „Glückseliger Friedhof“

 Robert Wosak
Robert Wosak, geboren 1876 in Schwechat bei Wien, ist zwar hauptsächlich als Maler bekannt, er hinterließ aber eine der wohl schönsten „Augenblicksaufnahmen“ des Friedhofs, den er fast zeitgleich wie Ricarda Huch besuchte. Wosak erlernte zuerst das Handwerk eines Glasmalers, erhielt in München an der Kunstakademie eine Ausbildung in Graphik und Malerei, arbeitete als Illustrator, Zeitungszeichner und Kirchenmaler, u.a. in Frankfurt, war aber auch journalistisch und schriftstellerisch tätig. 1910 ließ er sich mit seiner kinderreichen Familie – er hatte eine Ambergerin geheiratet – in Kritzendorf bei Klosterneuburg nieder. Dort starb er 1944.
Seine Reisefreudigkeit und Neugier „auf die Welt“ ließen Wosak viele Länder und Orte in Europa erkunden, brachte ihn 1926 auch nach Straubing. In der Zeitschrift „Der Bayerwald“ des Bayerischen Waldvereins wurde damals sein Erleben des Friedhofes St. Peter samt einer Zeichnung veröffentlicht.
 
„Glückseliger Friedhof! Gibt es das? Ist nicht der Gottesacker ein Ort der Trauer, der elegischen Stimmung? Nicht immer. Bei Straubing, der alten bayrischen Herzogstadt, liegt ein Friedhof, der so idyllisch und heiter, so recht wie ein glückliches Wesen wirkt. Umgürtet von hohen grauen Mauern, im Schatten einer uralten romanischen Kirche, liegt der herrliche St. Petersfriedhof, ein Juwel unter den vielen Friedhöfen, die ich weit herum sah.
Angefüllt mit herrlichen Denkmälern von hunderten von Jahren, wunderschönen Grabkapellen, darunter auch der Ruhestätte der unglücklichen Agnes Bernauerin, die ihre Liebe zum Fürsten des Landes mit dem Tode büßen mußte. Doch nicht die Fülle von künstlerischen und historischen Erinnerungen will ich erwähnen, sondern ganz der Stimmung gedenken, die mich dort an einem heiteren Frühlingstag überkam und mir Herz und Augen auftat.
Über die rostzerfressenen kunstvoll geschmiedeten Kreuze, efeuumwuchert, mit hohen Gräsern überwachsen, streicht linde Luft und warm wiederstrahlt herrliches Sonnengold vom würfeligen Gemäuer der alten Kirche. Die Stimmen der Häuser und Höfe, das Getue von Hunden und Hühnern, Kindergetöse, hier und da ein Juhschrei, mischt sich mit dem frohen Sing-Sang der Vögel. Kräftig pfeift der Amsel Ruf, von der Wiese tönt der Lerche Triller, Bachstelze quarrt ihr zür zi-z, zür zi-zi. Hoch über der Kirche segeln Turmfalken mit ihrem scharfen jack-jack-Ruf und von der Donau her hört man die Möven kirren. Ein heimlicher Duft von Holzrauch, dem Boten des häuslichen Herdes, kräuselt durch die Herrlichkeit und mahnt an die liebliche Hausfrau, an das Glück der Familie.
Mit etwas altersmattem, dumpfem Klang schlägt die Uhr die Runde der nimmer ruhenden Zeit des Lebens. Eine Schar Schüler, von Nonnen begleitet, betrachtet etwas verwundert die hl. Oelberggruppe. Eine junge blühende Frau sitzt unweit auf einem gestürzten Grabstein und ihr zierliches Hündlein streckt sich wohlig im Sonnenlicht. Unter den dichten Bäumen geht eine Bauersfrau mit ihrem großen seidenen Kopftuch, dessen große flatternde Enden wie ein wehendes Zeichen der Trauer in dem Prunk von Licht und Ton, von Formen und Farben wirken.
Mir scheint der Krähen Gekrächze klingt froh und ein kleines Kind pappelt dazwischen hinein. Wer kann da traurig sein? Alle die müden Schläfer hier, von der Frau des Fürsten bis zum Scharfrichter, der nach erfüllter Pflicht zur gleichen Erde wie sein Opfer wird und die ungezählten braven Bürger, die hier schlummern, haben uns mit ihrer Ruhestätte ein Gesamtkunstwerk gegeben, das den Tod überwindet und das wie ich denke mit Recht, ‚glückseliger‘ Friedhof genannt werden kann.“
 
 Friedhof St. Peter Zeichnung um 1925
 Friedhof St. Peter, Zeichnung von Robert Wosak, 1926 (Der Bayerwald in Vergangenheit und Gegenwart, Nr. 5/6 1926, S. 161
 
Literaturhinweis (Auswahl):
Ricarda Huch, Im alten Reich. Lebensbilder deutscher Städte, Bremen 1960; Cordula Koepcke, Ricarda Huch. Ihr Leben und ihr Werk, Frankfurt a.M.1996; Günter Eich, Die Gedichte. Die Maulwürfe, hg. v. Axel Vieregg (Gesammelte Werke, Bd. I) Frankfurt a.M. 1991; Bayerische Staatsbibliothek, Nachlass Erhard Göpel Ana 415; Roland Berbig, Am Rande der Welt: Günter Eich in Geisenhausen, Göttingen 2013; Richard Billinger, Lobgesang. Gedichte, hg. v. Kulturamt Linz, Linz 1953; Arnold Klaffenböck, Richard Billinger, www.ooegeschichte.at/themen/kunst-und-(kultur/literaturgeschichte-oberoesterreichs (Aufruf 3.2.2021); Gertrud Fussenegger, Eines langen Stromes Reise. Die Donau. Linie, Räume, Knotenpunkte, Stuttgart 1976; Rainer Hackel, Gertrud Fussenegger, www.ooegeschichte.at/themen/kunst-und-(kultur/literaturgeschichte-oberoesterreichs (Aufruf 3.2.2021); Robert Wosak, Glückseliger Friedhof, in: Der Bayerwald in Vergangenheit und Gegenwart, hg. v. Verein Bayerwald e.V., 24. Jg., Straubing 1926 Nr. 5/6, S. 160f.; http://www.klosterneuburg1.at/6-Erfolge/10-08-vom-weltenbummler-zur-heimatkunst.html (Aufruf 3.2.2021); Hans Neueder, Bogener Bildergeschichten Bd. 4, Bogen 2019, S. 196f.
Bildnachweis der Porträts:
Huch: Wikimedia Commons, Eich: Stiftung Haus der Deutschen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Billinger: Gemälde von Louis Hofbauer, Museum Innviertler Volkskundehaus Ried, Fussenegger: Stifterhaus Linz, Robert Wosak: Stadtmuseum Klosterneuburg.