Schutzengelkirche

Betrachtungen zur Schutzengelkirche in der Altstadt

von Werner Schäfer
entnommen aus der Festschrift zum 10. Straubinger Altstadtfest

Die den heiligen Schutzengeln geweihte Kirche des ehemaligen Franziskaner-Klosters in der „Altstadt“ nimmt innerhalb der Sakralbauten Straubings eine besondere Stellung ein. Sie gehört zum Ensemble einer ganz „monastischen“ Gruppe innerhalb der Stadt, gebildet aus den Ordenskirchen der Karmeliten, Jesuiten, Ursulinen, Franziskaner und Elisabethinen und mit Einschränkungen auch der „Stiftskirche“ St. Jakob. Andererseits ist sie eines der wenigen „stilreinen“ Gotteshäuser, weil sie in Architektur und Ausstattung weitgehend dem Erbauungszustand am Beginn des 18. Jahrhunderts entspricht. Zudem steht sie städtebaulich als Verbindungsglied zwischen dem Herzogsschloss am nordöstlichen Eckpunkt der Neustadt und dem großen Friedhofsensemble von St. Peter. In Verbindung mit der gotischen Krönungskapelle liegst sie am alten Prozessionsweg von der Neustadt zur Toten- oder Seelenkapelle auf dem Friedhof. Wer sich von der Altstadt der Neustadt nähert, wird sich dieser exponierten Stellung des Turmensembles Straubings bestimmt bewusst.

Die Schutzengelkirche erfüllte noch im so schmuckfreudigen katholischen Barockzeitalter in charakteristischer Weise die Anforderungen eines Bettelordens. Einfach und zurückhaltend und doch von monumentaler Geschlossenheit präsentiert sich der Baukörper, mit nur durch die Fenster gegliedertem Langhaus und langgestrecktem Mönchschor. Dem Armutsideal entsprechend sitzt lediglich ein Dachreiter auf dem Satteldach mit einheitlicher Firsthöhe. An der strengen und hausartig wirkenden Fassadenseite sitzt ein klar geschnittener Dreiecksgiebel auf dem gleich hohen Unterbau mit seinem schlichten Portal. Die Fenstergliederung dieser Fassade nimmt vor allem die Dreizahl auf, die Zahl der Dreifaltigkeit.

Im Inneren öffnet sich für den Besucher ein lichter Saalraum mit tiefen Wandpfeilern, die Platz für acht Kapellenräume geben. Diese rechtwinkligen Einsatzkapellen konnten jeweils einen recht stattlichen Altar aufnehmen. Eine Vielzahl von gleichzeitig gelesenen Messen wurde damit ermöglicht.

An den Gewölben fehlt jegliches Schmuckelement. Der Ordensarchitekt Phillip Plank verzichtete ganz im Sinne seiner geistlichen Gemeinschaft völlig auf Stuckornamentik oder gar Bilder an der Decke. Dabei hätten die von keinen Gurtbögen gegliederten Gewölbe trotz der recht tief eingezogenen Stichkappen dafür genügend Raum gegeben. Auch sonst fehlen Stuckaturen und Wandmalereien, beherrscht die Farbe Weiß in puristischer Einfachheit den weiten Raum, ganz im Sinne der Tradition de Franziskaner und der Forderung des Konzils von Trient nach Klarheit und Strenge.

Gerade nach dem großen Reformkonzil sollte der Kirchenraum „das Geheimnis unserer Erlösung“ darstellen. Diese Aufgabe fiel nicht zuletzt den Altären als Orten der Eucharistie zu. Sie sind in der Schutzengelkirche gemäß den Kunstvorstellungen der Gegenreformation deutlich von der Architektur abgegrenzt. Das satte Braun der Altarbauten steht in offensichtlichem Kontrast zum Weiß des Raumes. Die Altäre beinhalten in Anordnung und Ausführung ein Prinzip der Steigerung von den geometrisch einfachen in den Einsatzkapellen hin zu den Altararchitekturen mit Doppelsäulen am Chorbogen und zum Hochaltar mit seinem von kleinen Pyramidenobelisken flankierten torartigen Auszug.

Die Altarblätter der Schutzengelkirche besitzen nicht nur theologisch sondern auch künstlerisch einen hohen Rang. Sie werden so bedeutenden Meistern wie den Hofmalern Melchior Steidl und Kaspar Sing zugeschrieben, eine sogar dem jungen Evangelist Holzer, dem nachmals als „bayerischer Raffael“ gerühmten all zu früh verstorbenen Genie der süddeutschen Malerei des 18. Jahrhunderts. Holzer war nach Erbauung der Schutzengelkirche Lehrling beim Straubinger Lokalmeister Joseph Anton Merz gewesen, ehe er in Augsburg Karriere machte.

Nicht zuletzt wird die mittlerweile wieder geöffnete Kirche auch die Asam-Freunde erfreuen. Zu einem Seitenaltar an der Südseite gehört nämlich das erste bekannte Ölgemälde des Cosmas Damian Asam, angeblich noch während seiner Studienzeit in Rom gemalt und 1713 von der Stadt Straubing anlässlich einer Pestepidemie für die Schutzengelkirche gestiftet. Es zeigt die Heiligen Theresa von Avila und Petrus von Alcantara als Fürsprecher vor Christus. In den Gestalten des Bildes sind römische Vorbilder unverkennbar. Klar ist in der von mystischem Erleben hingesunkenen Theresa die Marmorskulptur Berninis in Santa Maria della Vittoria zu erkennen. Für den stehenden Christus legte die Asam-Forschung ein Figurenmotiv aus einem Gemälde in St. Peter zu Grunde und der in Straubing besonders verehrte Pestheilige Petrus von Alcantara geht auf eine Vorlage von Carlo Maratti zurück. Obwohl noch kein Meisterwerk, hat Asams Frühwerk doch einen erheblichen Wert gerade in Straubing, denn hier finden sich schließlich mit den Fresken und Gemälden in der Ursulinenkirche auch wertvolle Zeugnisse für die letzte Schaffensperiode des Cosmas Damian.

Eine hervorragende Bedeutung kommt in der Schutzengelkirche dem Hochaltar mit seinem originellen Sakramentsaltar und seinem Altarblatt zu. Das nun nach gründlichen Restaurierungsarbeiten zurückgekehrte Hochaltarbild des Münchner Hofmalers Johann Caspar Sing aus dem Jahre 1710 gehört künstlerisch wie inhaltlich zu den eindrucksvollsten Barockgemälden Straubings. Es nimmt das Schutzengelmotiv auf, vor allem aber weist es auf den zentralen Kern des christlichen Glaubens hin.

Ein großer Schutzengel führt an der linken Hand einen vertrauensvoll zu ihm aufblickenden Knaben, mit der erhobenen rechten Hand weist er gen Himmel. Die beiden Gestalten mit weit ausschwingenden Gewandtüchern zeigen keine konkreten Attribute, sie sind deshalb nicht direkt als Erzengel Raffael und Tobias gemäß der Erzählung im Buch Tobias des Alten Testament bestimmbar. Sie verkörpern vielmehr den Schutzengel also solchen und den seinem Schutz und seiner Begleitung anvertrauten Menschen.

So wird auch die Botschaft des Schutzengels einen allgemeine. Sie wird hinter Engel und Knabe, an deren irdisches Wandeln ein schräg sich zur Seite neigender Baumstamm vor blauem Himmel über grauen Wolken erinnert, ins Bild gesetzt.

Eine dunkle, dichte, bedrohlich wirkende Wolkensäule steigt empor zu einer himmlischen Szenerie mit Christus im Kreise der Engel. Der Erzengel Michael bricht, in einen leuchtend blauen Mantel gehüllt, aus dem Dunkel hervor, das Haupt mit dem Kreuz bekrönt, das Flammenschwert entschlossen schwingend, den irdischen Zonen zugewandt, ein wahrer Streiter und Führer im Kampf gegen das Böse. Neben ihm hält Gabriel als Götterbote die Lilie mit den drei Blüten der Dreifaltigkeit, zugleich Symbol der Reinheit der Gottesmutter empor. Am linken Rand der Wolkensäule ist Raffael mit seinem Pilgerstab erkennbar, der besondere Schütze der Menschen.

Ein großer, dem Betrachter mit dem Rücken zugewandter, ganzfiguriger Engel trägt die sitzende, männlich kräftige Gestalt des Heilands. Dieser ist nur in ein weißes Lendentuch gehüllt, ein roter Mantel fällt über Rücken und linke Seite. Er thront in einer rot und golden leuchtenden Himmelssphäre, das linke vorgestreckte Bein ruht auf einer grünen Erdkugel. Er ist Herrscher des Himmels und der Welt – aber nicht nur dieses. Aus seiner rechten Seitenwunde ergießt sich ein kräftiger Blutstrahl in großem Bogen auf die Kugel, breitet sich aus, fließt herab. Es wird deutlich: Christus hat durch sein Blut die Welt erlöst. Ein Engel mit dem Buch der Frohen Botschaft hält ihm den von bläulichem Licht umgebenen Kelch entgegen, das Zeichen des Neuen Bundes, des Abendmahls, der Eucharistie, der Verbindung des gläubigen Christen mit der Erlösungstat über alles historischen Zeiten hinweg, auch über die des Malers im scheinbar für uns so fernen 18. Jahrhundert.