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In aller Bescheidenheit Berge versetzt

27. September 2019  - Quelle: Straubinger Tagblatt

Lutz Burgmayer anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Schutzengelhilfe in der Kirche, die er Straubing erhalten hat: Der Schutzengelkirche. Dort wird auch der Trauergottesdienst für ihn stattfinden. Wo sonst, wenn nicht dort? Er hatte mit allem Grund einen Schlüssel zu seiner Kirche daheim. Archiv-Foto: Gahr & Popp

Lutz Burgmayer ist tot

„Es ist nicht zu wenig Zeit, die
wir haben, sondern es ist zu viel
Zeit, die wir nicht nutzen.“ Seneca

Was kann ich allein schon ausrichten? Nichts. Das hört man an jeder Straßenecke. Nur stimmt es nicht. Wenn einer das bewiesen hat, dann Lutz Burgmayer. Noch dazu ohne groß Aufhebens darum zu machen und vor allem ausdauernd. Sisyphos kann doch Erfolg haben. Und David ist gegenüber Goliath nicht machtlos. Lutz Burgmayer ist zu verdanken, dass die dem Verfall preisgegebene Schutzengelkirche noch als Gotteshaus existent und heute ein anrührend schön restauriertes Kleinod ist. Er hat Anfang der achtziger Jahre das Konto Schutzengelhilfe  egründet und den Freistaat Bayern, Eigentümer der Anfang des 18. Jahrhunderts erbauten  Kirche, dazu gebracht, sie zu restaurieren. Er hat nicht gesagt, „tut was“. Er hat Geld  gesammelt, jeden noch so kleinen Spender einen Schutzengel für die Schutzengelkirche genannt und selber nicht wenig investiert. Er hat den Freistaat in Zugzwang gebracht und die Öffentlichkeit auf dieses zwischenzeitlich vergessene Stück Heimat aufmerksam gemacht. Er hat es aus dem Dornröschenschlaf geweckt und wieder zugänglich gemacht. Er hat die Straubinger bei ihrer sentimentalen Ader gepackt und er hat sie erreicht. Weil alle gespürt  haben, da ist Herzblut. Daneben geht ihm ein Ruf als leidenschaftlicher Sammler von Schutzengeln, als Freund des Theaters, einstiger Hauptdarsteller und Spielleiter der Agnes-Bernauer-Festspiele voraus. Am Dienstag ist Lutz Burgmayer 90-jährig nach langer Krankheit gestorben. Daheim. So wie er es sich gewünscht hat. In seinem Elternhaus an der Zollergasse,  in dem er geboren und aufgewachsen ist und als gelernter Uhrmacher im vom Vater übernommenen Uhrenund Schmuck-Geschäft gearbeitet hat. Liebevoll begleitet von seinen vier Kindern und deren Familien. Lutz Burgmayer hatte Stil. Er war einer, der in seiner unauffälligen Gediegenheit aufgefallen ist. Stets im dunklen Anzug, mit schwarzer Baskenmütze auf den weißen Haaren, und Aktentasche. Immer freundlich.
 
Vor drei Jahren hat eine Kollegin ihn in seinem Uhrengeschäft zu einem Interview besucht.  Thema: Die alljährliche Zeitumstellung. Burgmayer hat inmitten von 100 Uhren über die Zeit philosophiert, gewohnt sparsam, aber vielsagend. Zeitverschwendung sei für ihn, wenn man die geschenkte Zeit nicht nutze, hat er gesagt. „Wenn man nix tut und am Strand liegt. Ich bin noch nie am Strand gelegen...“
 
Vor vier Jahren hat Lutz Burgmayer alters- und gesundheitsbedingt sein Konto Schutzengelhilfe dem Historischen Verein übereignet, der es in seinem Sinne treuhänderisch
verwaltet. Erst in der jüngsten Stadtratssitzung am Montag hat das Plenum einstimmig eine
zinslose Zwischenfinanzierung für die Sanierung der Krönungskapelle gebilligt, die der  Schutzengelkirche an der Schulgasse vorgelagert ist. Sie wird ab Herbst mit öffentlichen Geldern saniert – und dank Spenden, unter anderem 30000 Euro von Lutz Burgmayers  Schutzengelhilfe und weiteren 30000 Euro von den Altstadtfreunden.
 
In den vergangenen fast 40 Jahren hat Lutz Burgmayer annähernd 500000 Euro für die  Schutzengelkirche gesammelt. Dank kleiner Spenden, fünf- und zehn-Euroweise, aber auch zigtausend, die ihm die Altstadtfreunde aus dem Erlös ihrer Altstadtfeste über die Jahre zur Verfügung stellten. In diesem Verein hatte er den kongenialen Partner für sein Anliegen. Am Anfang dieses außergewöhnlichen Engagements stand ein Leserbrief, den Burgmayer 1980  ans Tagblatt geschickt hat. Er war damals zufällig an der Schutzengelkirche vorbeigekommen und über deren Verfall so erschrocken, dass er die Öffentlichkeit aufrütteln wollte. Damals war die Fassade völlig marode, im Dachstuhl nisteten Tauben. Es regnete durch.
 
Eine Beziehung zu Schutzengeln hatte er seit seiner Kindheit. Er sammelte alles rund um Schutzengel. Über 5000 Exponate – Andachtsbilder, Porzellanfiguren, Literatur, Autoplaketten, Wallfahrtsandenken und auch Skurrilitäten wie Streichhölzer und Bleistifte. Im Jahr 2000 gab es eine Ausstellung mit einer Auswahl davon im Herzogschloss. Es kamen 3000 Interessenten. 1999 ist die Sammlung in einer Magisterarbeit imFach Volkskunde an der Universität  Regensburg wissenschaftlich aufgearbeitet worden.
 
Einmal, das hat Lutz Burgmayer 2004 in einem Interview erzählt, hatte er selber einen Schutzengel. Im Regensburger Bahnhof hat er an einer Fensterbrüstung in Zeitungen geblättert, als plötzlich die riesige Glasscheibe auf ihn stürzte. Er kam mit einer Platzwunde davon. Die ihm zugesprochene finanzielle Entschädigung hat er als Grundstock für das Konto Schutzengelhilfe genommen. Alles Geld floss ohne Verwaltungsaufwand in sein Anliegen.
Burgmayer investierte zielgerichtet in Portal, Tabernakel, Hochaltarbild, Kirchenbänke,  Seitenaltäre, Sakristei...denn wichtig war ihm, dass die Spender sehen konnten, was mit ihrem Geld gemacht wird. Er fand im Staatlichen Hochbauamt Passau und den  Denkmalschutzbehörden konstruktive Verbündete. Sie waren heilfroh über die Spenden, denn  sonst hätte sich alles noch länger hingezogen. Trotzdem hat es viele Jahre gedauert, ehe die Kirche weitestgehend fertig war.
 
Burgmayer sammelte weiter, denn auch für den Erhalt des renovierten Kleinods war Geld  notwendig. „Die Schutzengelkirche wird auch künftig viele Schutzengel brauchen.“ Über Jahrzehnte hat Lutz Burgmayer sich über jeden kleinen Fortschritt gefreut, jeden Rückschlag weggesteckt, Geduld und Ausdauer bewiesen. Wenn er das alles vorher gewusst hätte? Das habe ich ihn anlässlich 20 Jahren Schutzengelhilfe 2004 gefragt. „Ich würde das Ganze auf jeden Fall nochmal machen“, hat er geantwortet.
 
Sein Engagement ist vielfach gewürdigt worden, 1992 mit der Goldenen Bürgermedaille der Stadt Straubing. Erinnert worden ist bei der Gelegenheit auch daran, dass Lutz Burgmayer große Verdienste um das Agnes-Bernauer-Festspiel hat. Seit den fünfziger Jahren war er bei Festspielen in tragenden Rollen zu sehen, unter anderem als Herzog Albrecht (1960 und 1963). 1968 und 1972 war er Spielleiter. An der zeitgemäßen Umgestaltung des problematischen Hubrich-Textes war er in hervorragender Weise beteiligt. „Lutz Burgmayer zählt quasi zu den Vätern der neuen Agnes-Bernauer-Festspiele“, so der damalige OB Fritz Geisperger. 2007 wurde Burgmayer die Ehrenmitgliedschaft im Historischen Verein angetragen, 2010 erhielt er die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Er hat sich darüber sehr gefreut, nicht ohne bescheiden zu betonen, dass all die Auszeichnungen eigentlich allen gelten, die ihn bei dem Projekt unterstützt haben.
 
Lutz Burgmayer ist 90 Jahre alt geworden. Am Ende war er müde, der Krebs, den er über Jahre mit Würde ertragen hat, hat ihn mürbe gemacht. Seiner Leidenschaft für die Schutzengelkirche als ein Stück Heimat ist er jedoch nie müde geworden. Er hinterlässt etwas Sichtbares. Es bleibt etwas von ihm – neben der strahlend schönen Schutzengelkirche, neben seiner Schutzengelsammlung. Er hinterlässt uns mit der Gewissheit, dass ein Einzelner Berge versetzen kann, wenn er nur will. Und das ist unermesslich.
Monika Schneider-Stranninger